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18.12.20-Adventsfenster - Fam. Dorr, Fam. Hofbeck, Fürstenhofpassage

Der kleine Mönch und die Stille

Der kleine Mönch war gerade dabei im Waschbecken aus dem großen Topf die letzten Krümel des Mittagsessens zu spülen. Klappernd fiel dabei der schwere Griff des Kessels von einer Seite auf die andere, und diesen Rhythmus aufgreifend begann er fröhlich zu singen. Er wippte von einem Bein aufs andere – da schaute der Abt über die Schwelle in die Küche. Der Abt kam näher und setze sich an den kleinen Holztisch. „Ich bin gekommen“ sagte er langsam, „um zu sehen, wie es deiner Stille geht.“
„Oh,“ machte der kleine Mönch „die Stille, ja natürlich.“ Er schämte sich ein bisschen, dass er vorhin so laut gesungen hatte.
„Stille ist wertvoll“ fuhr der Abt fort. „Du solltest sie gut behüten!“
Während der kleine Mönch über die Worte des Abtes nachdachte, stand dieser auf, neigte kurz den Kopf zum Gruß und ging zur Tür hinaus in den Klostergarten. Der kleine Mönch setzte sich an den Tisch und dachte nach. „Stille ist wertvoll“, hatte der Abt gesagt. „Aber wie kann etwas wertvoll sein, das nur daraus besteht, dass nichts anders ist?“ Er grübelte lange nach. Drei Tage verbrachte er so: ohne bei der Arbeit im Garten zu singen, ohne mit den anderen zu reden, sogar die Psalmen sang er schweigend.
„Was soll das bringen?“ dachte sich der kleine Mönch. „Ich habe es mit der Stille probiert, und nichts daran war wertvoll“. Traurig fasste er den Entschluss am nächsten Morgen zum Abt zu gehen, um ihn nach weiterem Rat zu fragen. So klopfte er am nächsten Tag an die Tür vom Abt. Er öffnete die Zellentür und sah den kleinen Mönch freundlich an. „Vater Abt, ich erbitte ein Wort von euch. Es ist wegen der Stille“.
„Was weißt du über die Stille?“ fragte ihn der Abt.
„Sie ist –still“, antworte der kleine Mönch, doch eigentlich hätte er lieber traurig oder langweilig gesagt. Und weil der Abt das wohl auch merkte, fragte der kleine Mönch schnell: “Warum ist sie wichtig? Wofür ist sie nütze? Ich habe nichts gefunden, was sie mir wertvoll erscheinen ließ. Und überhaupt: Wie kann etwas wertvoll sein, das nur daraus besteht, dass nichts anders ist?“ Der Abt nahm einen Eimer, füllte drei kleine Schaufeln Erde hinein und goss Wasser auf. Dann hielt er den kleinen Mönch einen Stecker hin und sagte „Rühr um!“ Der kleine Mönch nahm den Stecker und tat, wie ihm aufgetragen war. „Was siehst du?“ fragte
der Abt. „Alles ist in Bewegung, die Erde vermischt sich mit dem Wasser und macht es trüb“ antwortete der kleine Mönch. „Sehr gut“ sagte der Abt. Der Abt ließ den kleinen Mönch verdutzt stehen und ging Richtung Kirche davon. Der kleine Mönch stand mit hängenden Schultern da. War das schon die ganze Unterweisung? Da hatte er sich mehr erhofft – bei einem so schweren Thema. Nach dem Gottesdienst winkte der Abt den kleinen Mönch zu sich. „Lass uns nach dem Eimer sehen, was du jetzt da findest!“.
Der kleine Mönch sah in den Eimer und war erstaunt „Vater Abt, seht! Das Wasser ist ganz still und klar geworden, das Trübe hat sich abgesetzt und man kann bis auf den Grund sehen!“. Der Abt nickte. „Jetzt kennst du den Wert der Stille. Erst in der Stille kann man auf den Grund sehen.“ „So ist es auch mit deinem Herzen“ sagte der Abt. „nun nimm den Eimer, geh im Garten umher, doch achte darauf, dass du das Wasser im Eimer nicht bewegst.“ Der kleine Mönch ging durch den Garten. „Siehst du!“ sagte der Abt. „Du kannst gehen, wohin du willst, du kannst reden, du kannst singen – und doch kannst du dir im Herzen die Stille bewahren“.

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